blaues blut
abend.
kurz nach neun.
tisch, darauf nebst tassen, papier, büchern und sonstigem gerümpel ein
heft, das gerade beschrieben wird, blau, das paßt, blau. die füllfeder
in der hand lehnt ein mann auf dem tisch mit seinem ellbogen. der tisch
leistet, das gewicht spürend widerstand, gemäß dem druck. ein spiegel,
der tisch. der mann, der da schreibt im licht der fünfzig hertzen, bin
ich.
ich. ist auch schon alles, nur "ich". ein, wenn klar klingend, schwer
auszusprechender vokal, das "i", und dieses fauchende "ch", ein
gehauchtes fauchen.
mittendrein platzt eine sehnsucht nach haut, nach atem, nach
herzklopfen etc. platzt einfach mittenhinein in das schreiben, platzen
- platz, macht sich platz, platzt sich. der boden unter meinen füßen
ist nicht mehr. keine heimat, nur endlose ungewissheit, die nagt an
mir, zieht mir die haut ab, sodaß die verzweiflung darunter zum
vorschein kommt, und nicht nur zum schein, sondern richtig, voll und
fett und glasig-schneidig, steinern und ölig.
ausgebrannt. schwarzes gerüst unter rauchfädenverhangenem himmel.
augen, die leer in ihren höhlen lauern, bereit, plötzlich aufzublitzen
oder zu erlöschen. kein funken hoffnung, nur gedanken von hoffnung, nur
suchen nach schlupfwinkeln, um der verzweiflung zu entkommen.
geheimgehaltene sehnsucht nach hoffnungslosigkeit.
wer du bist, was ich bin, wo wir sind und/oder nicht. alles fragen,
ohne antwort. nur lärm, nur getöse, fragengetöse - und angst vor der
stille, angst vor der geburt der antwort. angst vor geburt, angst vor
leben.
ich hab angst vor dem leben, darin bin ich verloren, wie ein stein, der
vergessen hat, was er ist, lieg ich am strand der erträgnisse.
du. deine angst hat dein lachen umgebracht. und deine zärtlichkeiten.
und mir die augen ausgekratzt. und sich mit meiner angst verbündet, um
unser leben auszurotten. blutbespritzt such ich zwischen grauen steinen
nach schmetterlingsflügeln aus licht. zwischen die gewißheit des
scheiterns dieses unterfangens mischt sich eine unbekannte melodie,
wunderbar summende, fremdartige töne der unheimlichkeit - voller
geborgenheit. wie ein wind, der im sommer durch die nächte streift, wie
das knarren der eisschollen. warum bist du so fern?
ich hab dich gerufen über den see, in dem ich geschwommen in sommers
und herbstes verstreichen, ich hab dich gerufen über wasser; ob du
gehört hast? ich will zu dir.
ich will zu dir. ich dreh mich weg zu gehen, das wasser bleibt liegen,
allein. ich fahre, bis ich dann hier erscheine, diesem tisch seinen
widerstand abringe.
warum lachst du, warum weichst du mir aus? deine angst taucht meine
flügel in öl - ich bin ölend, fühl mich ölend - elend. warum lachst du
neben mir her, daß meine tränen ersticken? solche fragen, das sind die
fragen, die ich mich nicht mehr zu stellen wage an dich, maurerin.
blaue tinte ist wie falsches blut, das nie geweint hat. blut, das nie geweint hat, ist blau.